Gemüse ist mein Fleisch

 
 
 
 

Ein Lebensmittelkonzern bringt Hack und Würstchen auf den Markt, die zu 50 Prozent aus Paprika, Karotten und Tomatenmark bestehen. Müssen solche Bevormundungen sein?

Der Mann trägt die Axt, die Frau das Bund Möhren und den Einkaufskorb: Da ist die Welt noch in Ordnung und der Tisch immer reich gedeckt. Oder? Die so bedruckte Plastik-Produktverpackung mit Hack oder Würstchen darin kommt zwar ohne lachende Schweine in kurzen Kittelschürzen aus (früher ein beliebter Werbeaufsteller vor dem Fleischereifachgeschäft) – aber dieses harmonisch lächelnde Ehepaar in identischen Schürzen ist auch nur die Illusion einer Idylle, siehe Axt im Anschlag.

Denn wie heil kann eine Welt noch sein, wenn es "hybrides Hack" in ihr zu kaufen gibt? Nachdem man sich dem Schauder dieses Wortpaars hingegeben hat, entdeckt man zwar, dass sich dahinter die übliche Zerkleinerung tierischer Bestandteile bis zur Unkenntlichkeit verbirgt – dies aber in einer neuen Zurichtung, die mit dem klassischen Wolfen, Kuttern oder Faschieren nichts mehr zu tun hat. Das hybride Hack und die grobe Schweinebratwurst der Firma Better Half, die es bei Rewe gibt – bislang in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und dem Saarland –, sind nämlich halb Tier, halb Pflanze: Sie bestehen zur Hälfte aus Möhren, Zwiebeln, Paprika, Erbsenproteinkonzentrat und Tomatenmark. Wer das goutiert, kann es mit einem abgewandelten Zitat von Heinz Strunk sagen: Gemüse ist mein Fleisch.

Die Frage ist nur: Warum sollte man? Antwortmöglichkeiten: a) weil man sich letztens am Grillbüffet etwas plauzig fühlte nach dem dritten Nackensteak ohne Salat; b) weil eine Frau mit Möhren neben einem steht und ihr Lächeln gar nicht so nett ist, wie man dachte; c) weil man Hipp-Gläschen ("Rosmarinkartoffeln mit Karotten und Bio-Kalb" etwa) gern als praktischen Mampf für sich kaufen würde, ohne sich indes als Erwachsener dafür rechtfertigen zu müssen; d) weil es so einfach ist, ein Steak in den Beefer zu werfen, und so nervig, Gemüse zu schnibbeln. Man kann auch stellvertretend für alle vier Antworten sagen: Weil man sich, gut ein Jahrzehnt nach der ganzen wütenden Ablehnung des Veggie Days, so leicht bei seinem schlechten Gewissen packen lässt. Weniger Fleisch essen, weil alle immer so viel davon reden, Tierhaltung, Gesundheit und so? Warum nicht, aber ich will's nicht so genau mitbekommen.

Es gibt in der Küche unendlich viele Traditionen, ein Produkt mit anderen zu kombinieren. Man nennt das Eintopf oder gemischten Salat oder Hühnerfrikassee, und die Idee ist, dass die einzelnen Bestandteile darin klar auszumachen sind. Unmöglich bei Fleisch, wenn es durchgedreht ist zu Wurstbrät oder Hack: Oft ist dann die Rede davon, es werde gestreckt, wie der Reis in der Füllung des Burrito con carne, die eingeweichten Brötchen in der Frikadellenmasse. Wenn es nicht gerade um eine gehobene französische Pastete geht, war dieses Prinzip des Streckens bislang eher abfällig konnotiert, vergleichbar der Beimischung unedlerer Metalle zum Gold. Nach dieser Logik bleibt Fleisch in jeder Form Gold auf dem Teller.

Und drumherum 100 Prozent Schweinedarm

Nur wird das Gemüse – zumal bei einer wachsenden Zahl von Veganern und Vegetarierinnen – ja auch in der Gastronomie längst gleichberechtigt behandelt. Die Annahme, dass man es irgendwie, irgendwo reinschummeln könnte, wirkt also ziemlich gestrig. Und wie eine komische Erziehungsmaßnahme: Möhren und Co. werden ja eben nicht als gute Alternative zu Rind und Schwein angeboten, sondern verschwinden in der Unsichtbarkeit. In den Produkten von Better Half mögen die pflanzlichen Bestandteile zwar gleichberechtigt zu den tierischen Anteilen stehen, untergeordnet sind sie dennoch, da sie nicht zu sehen sind. Die 50 Prozent Gemüse in der Wurst werden sogar unter 100 Prozent Schweinedarm versteckt.

Soll man das Gemüse also mehr oder weniger freiwillig mitessen, weil man das Gefühl hat, das tun zu müssen? Und muss man seine Eigenverantwortung, mit allen Konsequenzen für Tier und Umwelt, ausgerechnet an einen Fleischkonzern auslagern, statt selbst Entscheidungen zu treffen als mündige Konsumentin? Eine solche Infantilität mutet man doch nicht einmal Kindern zu. Schließlich lassen die sich auch nur unter Protest undurchsichtig etwas unterschieben. Die meisten haben es lieber, wenn die Zutaten voneinander so feinsäuberlich getrennt sind wie gerade sortierte Legosteine. Und auch Erwachsene essen so nicht mehr. Das Prinzip unserer Zeit besteht ja darin, die Qualität der einzelnen Zutaten anerkennen zu wollen und sie deshalb voneinander getrennt zu halten: wie beim Hotelbüffet oder bei Sushi. Oder bei diesen ganzen Bowls-Variationen mit Reis und dies und das, die man wild verrühren kann – aber erst, nachdem man sich Algen, Thunfisch und all die Toppings einzeln ausgesucht und angeschaut hat.

Übertragen auf gehobene Restaurants bedeutet das so etwas wie: Am linken Rand des Tellers das Tomatenconfit, mittig der Bratling, und rechts oben dann ein klar umrissener Soßenkreis. Wie sich die einzelnen Bestandteile des Gerichts vermischen, ist die Sache derjenigen, die es aufessen werden. Sie individualisieren gewissermaßen die Kompositionsleistung der Köchinnen und Köche. Das Gleiche gilt für zu Hause: Man würde sich halt, beispielsweise, gern aussuchen können, ob man sehr viel vom Ratatouille nimmt und sehr wenig von den Merguez – oder umgekehrt. Eine hybride Konstruktion des Abendessens? Nein danke.

Und überhaupt, was isst man zum Fleisch, wenn das Gemüse schon drinsteckt? Vielleicht legt man einfach eine Scheibe Wurst unter die Salatbeilage. Fifty-fifty halt.


Quelle: ZEITmagazin

Von: Carmen Böker

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