Rote Karte für pupsende Kühe
Steak oder Veggie-Wurst, Apfel oder Ananas: Wie grün die Deutschen im Alltag leben, entscheidet eher nicht der Kurzstreckenflug – sondern der Einkaufswagen.
Zwei Elefantenbullen oder acht Fiat 500 – so viel wiegen die Treibhausgase, die jeder Durchschnittsbürger in Deutschland pro Jahr verursacht. Insgesamt etwas mehr als 10 Tonnen. Dabei kommt das CO2 im Alltag nicht nur durch Stromverbrauch, Autofahren und Flugreisen zusammen. Es steckt auch im Essen – und zwar gewaltig.
Hochgerechnet auf zwölf Monate belasten Frühstückstoasts, Grillwürstchen, Nudelsalate und alle anderen Lebensmittel die Umwelt mit 1,7 Tonnen klimaschädlicher Gase. Auch schon soviel, wie ein Baby-Elefant wiegt. Dabei ist den meisten Deutschen bewusst, dass Klimawandel und Ernährung zusammenhängen. Nur nicht, wie genau.
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung weiß kaum, wie sie sich klimafreundlich ernähren kann, so das Ergebnis einer neuen Studie des Allensbach Instituts im Auftrag des Lebensmittelkonzerns Nestlé. Kein Wunder, findet Mandy Schoßig vom Öko-Institut. "Es ist nicht einfach, den Überblick zu behalten. Die Vielfalt an Produkten ist riesig und alle haben einen sehr spezifischen Klima- und Umweltfußabdruck."
Vom Acker in die Küche
Steht man im Supermarkt zwischen Kirschen, Kokosnüssen und Koriander kann der Dreisatz "regional, saisonal, bio" helfen. Immerhin ein Viertel der Deutschen richtet sich auch schon danach. Bei ihnen kommen vor allem Lebensmittel in den Einkaufswagen, die in der eigenen Region und in der aktuellen Jahreszeit erzeugt werden, so die Allensbach-Studie. Viel schwerer fällt: weniger Fleisch, weniger Milchprodukte. Auch das bescheinigen die Meinungsforscher.
Genau da liegt aber der Knackpunkt: Ein Kilogramm Bio-Rindfleisch schlägt in der Produktion mit rund 22 Kilo CO2 zu Buche, ein Kilo Butter bringt es immer noch auf 9 Kilo CO2. Auch Käse haut pro Kilo mit bis durchschnittlich 6,5 Kilo CO2 eine Delle in die Klimabilanz auf dem Teller. Das ist viel mehr als die 300 Gramm CO2, die beispielsweise ein Kilo Äpfel aus der Region oder ein Kilo regionaler Tomaten zur Erntezeit verursacht. Der Grund dafür: Der Weg von Fleisch- und Milchprodukten in die Kühlschränke beginnt nicht im Stall – sondern auf dem Acker.
Mehr Treibhausgase für leerere Teller
"Fast zwei Drittel der landwirtschaftlich genutzten Flächen in Deutschland dienen ausschließlich dazu, Futter für Nutztiere anzubauen", sagt Schoßig. Darunter seien nicht nur Wiesen und Weiden zum Grasen, sondern auch knapp die Hälfte aller Ackerflächen im ganzen Land. Dabei könne die Ernte eines einzelnen Ackers viel mehr Menschen ernähren. Von den Produkten der Tiere, die Futtergetreide oder Silomais derselben Fläche gefressen hätten, würden weniger satt werden.
Laut Öko-Institut benötigt die Produktion von Fleisch und Milch sogar drei bis sieben Mal so viel Fläche wie die Herstellung pflanzlicher Lebensmittel. Das spielt auch für das Klima eine Rolle, denn auch die Ackerböden tragen zur Erderwärmung bei. Werden sie übermäßig mit Gülle oder anderem Stickstoff gedüngt, entsteht Lachgas, das rund 300-mal klimaschädlicher ist als das bekanntere CO2. Ein weiteres Problem: die rülpsenden und pupsenden Kühe.
Bei Rindern und anderen wiederkäuenden Tieren entstehen während des Verdauens enorme Mengen an Methan – ein Gas, das das Klima 25-mal stärker erwärmt als CO2. Auch die Pupse aus dem Kuhstall kommen deshalb auf die Klimarechnung bei vielen Fleisch- und Milchprodukten. Unter dem Strich steht deshalb ein deutlich negativerer Einfluss auf die Erderwärmung als bei Obst, Gemüse, Getreide oder Hülsenfrüchten.
Vegetarisch muss nicht sein
Vom Speiseplan verbannen muss man Tierprodukte trotzdem nicht zwingend. "Schon mehr Joghurt und Frischkäse zu essen statt Hartkäse, Butter und Sahne, kann große Mengen Treibhausgase einsparen", rät Schoßig. Denn je mehr fette Milch in einem Produkt stecke, desto größer sei dessen Klimafußabdruck.
Bei Aufschnitt und Koteletts helfe es ebenfalls bereits zu reduzieren: "Auch wenn wir erst mal klein anfangen und durch kleinere Portionen und selteneren Verzehr ein Viertel weniger Fleisch essen, ist das gut fürs Klima". Allerdings müsse dafür ein großer Teil der Bevölkerung seine Essgewohnheiten so anpassen, und "der Tierbestand muss entsprechend verkleinert werden."
"Noch kein Gefühl für die Klimabelastung"
Die Allensbach-Studie macht Hoffnung, dass das klappen kann. Solange es nicht darum geht, auf Fleisch und andere Tierprodukte ganz zu verzichten, ist mehr als die Hälfte der Deutschen schon jetzt bereit, ihre Essgewohnheiten für mehr Klimaschutz zu ändern. Zur Orientierung im Supermarkt fehlen vielen aber einfache Produkthinweise.
"Das Thema Klimabelastung von Lebensmitteln ist für die Menschen relativ neu", sagt auch Achim Spiller, Professor für Agrar- und Lebensmittelmarketing an der Universität Göttingen. "Wir alle haben noch kein Gefühl für die Klimabelastung in CO2-Äquivalenten. Das ist bisher noch sehr abstrakt."
CO2-Äquivalente – was ist das?
Verschiedene Treibhausgase haben einen unterschiedlich starken Effekt auf die Erderwärmung. Um sie vergleichen zu können, werden weniger bekannte Gase wie Methan oder Lachgas deshalb in die Einheit des bekanntesten Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO2) umgerechnet – in "CO2-Äquivalente". Beispiel: Methan wirkt 25-mal stärker aufs Klima als Kohlendioxid. Eine Tonne Methan = 25 Tonnen CO2-Äquivalente.
Gelbes Hühnchen, grüne Haferflocken
Der Klimafußabdruck von Fleischprodukten spreche sich zwar langsam herum, beobachtet Spiller, aber viele andere Zusammenhänge blieben weiter unklar. Die Klimabelastung durch Transport werde beispielsweise generell überschätzt, die von Flugtransport aber unterschätzt. Auch der Beitrag umweltfreundlicher Verpackungen zum Klimaschutz werde oft zu hoch angesetzt.
Deshalb fordert Spiller ein Klimalabel mit "einer Farbskala wie bei der Nährwert-Ampel Nutri-Score". Über so einen Signalhinweis könnten Haferflocken aus Niedersachsen dann beispielsweise ein grünes Label bekommen, Hühnerbrust aus Dänemark ein gelbes. Für Avocados aus der Türkei müsste es dann vielleicht schon ein orangefarbenes und für argentinisches Rindersteak ein dunkelrotes Zeichen geben.
Sehr wichtig sei auch, so Spiller, dass neben einer Hinweisfarbe auch der genaue CO2-Wert des Produkts gezeigt werde. Nur so bekämen Verbraucherinnen und Verbraucher "eine Chance, die Klimawirkungen der Lebensmittel zu verstehen". Gerade das scheint den großen Lebensmittelkonzernen aber unbequem zu sein.
Schöner Schein bei der Industrie
Unternehmen wie Arla Foods kennzeichnen einige Produkte zwar bereits selbstständig mit Hinweisen. Statt einer genauen Info zu deren Klimawirkung prangen auf den Produkten aber meist Reduktions- oder Klimaneutral-Label. Diese zeigen, wie stark die Treibhausgasemissionen bei der Produktion seit einem bestimmten Zeitpunkt gesunken sind, beziehungsweise versichern den Kundinnen und Kunden, das Produkt habe keine Auswirkungen auf das Klima.
Die Logik dabei: CO2-Emission aus der Produktion werden an anderer Stelle im Konzern eingespart oder wie bei einigen Airlines durch Baumpflanzinitiativen kompensiert. Für den Lebensmittelmarketingexperten Spiller ist das ein "Labelwildwuchs", der die Menschen verwirre, statt sie an die Hand zu nehmen. Außerdem seien die Klimaneutral-Label, die man immer häufiger im Handel sehe, besonders problematisch.
"Sie verhindern geradezu, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Ernährung klimafreundlicher gestalten können." Und längst nicht alle der Kompensationsmechanismen dahinter seien überhaupt seriös. "Hier müsste in Kürze eine Standardisierung erfolgen" – laut Spiller eine staatliche Aufgabe.
Keine Lust auf Vorbildfunktion
Diese Ansicht teilt auch Nestlé Deutschlands Vorstandsvorsitzender Marc Boersch. Angesichts der Forderung der Deutschen nach einem Klimalabel schielt er nach Brüssel. Boersch sieht die EU-Kommission in der Pflicht, ein einheitliches Gütesiegel auf den Weg zu bringen. Bisher ist ein europaweites Klimazertifikat dort aber noch kein Thema. Und der Weg von der Idee zum standardisierten EU-Gütesiegel ist bekanntlich lang.
Mit gutem Beispiel vorangehen will Nestlé als weltgrößter Lebensmittelkonzern trotzdem nicht. Bei der Präsentation der eigens in Auftrag gegebenen Studie sorgte Vorstand Boersch sich darüber, "dass viele Leute in Deutschland uns kritisch betrachten und sagen: Was drucken die da ihr eigenes Label." Das Unternehmen wolle in Berlin und bei der EU allerdings "alles tun, damit wir bald ein Klimalabel bekommen."
Die Kennzeichnung, die Nestlé sich wünscht, ist allerdings genau jene, bei der Experte Spiller vor Verwirrung und möglicher Augenwischerei warnt: ein Klimaneutral-Label, das die tatsächliche Klimabelastung von Tiefkühlpizzen, Dosenravioli und Co verschleiert. Wie genau Ernährung und Klimawandel zusammenhängen, könnten Verbraucherinnen und Verbraucher dadurch wohl weiter nur schwer einschätzen.
Quelle: t-onlone.
Von: Theresa Crysmann